Samstag, 20. April 2024

Erst Schubkraft, dann Frachtgut – LC-Neuzugang Cynthia Kwofie

Cynthia Kwofie, Sprinter-Neuzugang des LC Paderborn, hegt im Zweierbob der Frauen Hoffnungen für Olympia 2022

Der LC Paderborn hat seit dem 1. Januar eine ambitionierte Sprinterin in seinen Reihen, die im Bobsport als Anschieberin eine neue Perspektive sucht. Neuzugang Cynthia Kwofie (19) kommt vom SC Bayer 05 Uerdingen.

Ursprünglich wollte sie am 15. Januar ein Zimmer im Paderborner Sportinternat beziehen. Dieser Plan verschiebt sich um einige Tage, weil die Athletin vom BRC Winterberg durchgehend unterwegs ist. An diesem Wochenende startet sie beim IBSF Europacup in Altenberg.

„Cynthia bringt von Natur aus alles mit, was du für den Bobsport brauchst. Gewicht, Größe, Schnelligkeit. Sie hat Riesenchancen, ganz realistisch. Der Deutsche Bob-Verband hat top Material, bildet top aus“, freut sich LC-Cheftrainer Thomas Prange über die nächste schnelle Frau im LC-Dress. „Wir haben jetzt eine super starke Gruppe, sogar für zwei Staffeln. Cynthia muss sich beweisen.“

Der Fachmann muss es wissen, war Prange in seiner aktiven Zeit doch selber als Anschieber im Bobsport erfolgreich unterwegs. Im Jahr 2004 wurde er in Altenberg zusammen mit Kai Kaufmann und Christian Reppe Deutscher Meister im Viererbob von Pilot Hartl Sanktjohanser. Der Diplom-Sportwissenschaftler betreute darüberhinaus namhafte Bobteams wie Angerer (2011 Vize-Weltmeister Viererbob) oder Anschieber Joshua Bluhm (2016 Juniorenweltmeister Viererbob und Zweierbob).

Cynthia Kwofie freut sich auf Paderborn. „Bei der Besichtigung war ich zum ersten Mal da. Das war krass. Der Ahorn-Sportpark hat mich mit seiner Größe umgehauen“, schwärmt der Familienmensch – sieben Geschwister, drei Stiefgeschwister – von ihrer künftigen Wahlheimat.

Arbeit am Trainingsschlitten in Winterberg: Anschieberin Cynthia Kwofie mit der deutschen Olympia-Hoffnung Laura Nolte als Pilotin.

Beim Deutschen Bob- und Schlitten-Verband sind sie angetan von der großgewachsenen Leichtathletin (1,82 m), die 2020 bei den Deutschen U20-Meisterschaften in Sindelfingen in 24,01 Sekunden die Vizemeisterschaft über 200 Meter erkämpfte und auch die 100 Meter unter zwölf Sekunden sprinten kann. Tenor: „So ein Talent hatten wir schon lange nicht mehr.“ René Spies, Chefbundestrainer der Bobnation Deutschland, hat der Sprinterin Hoffnungen gemacht, bei einem vielversprechenden Verlauf ihres Reifeprozesses Kandidatin für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang im Februar 2022 zu sein. Es wäre die Erfüllung eines Traumes, dessen Verwirklichung als Leichtathletin zu weit weg wäre. Kwofie: „Da teilnehmen zu können, ist ganz klar mein Ziel.“ Und dem ordnet sie alles unter. Um neue Flexibilität zu gewinnen, ist sie im Dezember sogar von ihrem Berufskolleg in Köln abgegangen. „Ich habe jetzt mein Fachabi“, sagt sie.

Cynthia Kwofie gehört dem Team von Laura Nolte (21) an. Die Pilotin hatte 2016 bei den Olympischen Jugend-Winterspielen in Lillehammer Gold gewonnen. Drei Anschieberinnen konkurrieren um den Platz hinter der Sportsoldatin aus Unna. Deborah Levi ist aktuell im Weltcup Hinterfrau. Sie war in der Ausscheidung die Schnellste, vor Vanessa Mark und der Neu-Paderbornerin. Kwofies Schubkraft zum Saison-Auftakt im Bob-Europacup konnte sich aber sehen lassen. In der Winterberger Veltins-Eis-Arena landete sie Anfang Dezember mit Pilotin Anna Köhler (beide BSC Winterberg) auf Platz elf. „Ohne Technik, ohne Training“, merkt sie an. Die Neue weiß, dass sie viel und rasch zu lernen hat. „Ich bin absoluter Anfänger und muss den Kurvenverlauf der Bahnen verinnerlichen. Ich kann noch nicht alles richtig einschätzen. Das Einzige, was ich kann, ist schnell laufen.“ Ihre Gabe: eine starke Sprintfähigkeit trotz stattlichen Gewichtes. „Naja, eigentlich möchte ich mich gerne von einigen Pfunden trennen“, verrät sie. „Mit 84 Kilo habe ich angefangen, bin jetzt bei 82 und möchte gerne auf 78 kommen. Das wird nicht leicht, denn ich habe nur wenig Körperfett.“ Eine Ernährungsberaterin des Bobverbandes soll ihr auf die Sprünge helfen; im doppelten Sinne. „Ganz ehrlich? Ich bin überhaupt nicht diszipliniert. Das ist mein größtes Problem. Ich brauche jemanden, der mich antreibt“, merkt sie seufzend an.

Um mehr Einsätze zu bekommen, sei Abnehmen allerdings alternativlos, denn das Gesamtgewicht im Frauen-Zweierbob darf höchstens 330 Kilogramm betragen. Abzüglich des Eigengewichts des Sportgerätes (170 kg) verbleiben so maximal 160 Kilogramm für Pilotin und Anschieberin.

Es braucht eine gehörige Portion Mut, sich als Passagier bergab in die Eisrinne zu stürzen. „Dabei bin ich eher eine ängstliche Person“, räumt die 19-Jährige ein. „Aber es macht trotzdem richtig Spaß. Die Geschwindigkeit ist echt krass. Wir schießen mit mehr als 100 Sachen durch den Eiskanal.“ Nun gewinnt ein Bob-Team vor allem durch den Anschub am Start. Es gilt, so viel Tempo wie möglich in den Eiskanal zu nehmen, und das ist Cynthia Kwofies technisch anspruchsvoller Job. Meist sind es Quereinsteiger, überwiegend Leichtathleten, die mit ihrer Explosivität den schweren Bob beschleunigen. Mit höchster Sprintgeschwindigkeit rennt sie kraftvoll etwa sechs Sekunden oder 40 Meter weit auf glatter Eispiste in Spikes, die Hände am Bob. Bei einem Tempo von etwa 40 km/h muss sie dann schauen, möglichst reibungslos ins Gefährt zu gleiten. Der Einstieg ins sensible Geschoss darf nicht misslingen. Den Rest der Reise ist die Anschieberin Frachtgut. „Ich ziehe den Kopf ein, mache mich möglichst klein, werde in den Kurven bei 150 Stundenkilometern mal von der einen auf die andere Seite gepresst. Körperlich angenehm ist das nicht. Die Fliehkräfte in der Kurve sind beträchtlich“, zieht sie einen Vergleich zu Achterbahn-Fahrten – und nach Zielankunft die Bremse.

Die Bobsaison endet im März. Erst dann steigt Cynthia Kwofie ins leichtathletikspezifische Aufbautraining ein. Ihren Bundeskaderstatus hatte sie 2020 mangels Topergebnissen (aufgrund Verletzung) wohl verloren, doch möchte sie beim LC Paderborn den Sprung in die erste Frauenstaffel schaffen. „Wir sind so prominent besetzt, dass wir das Zeug für eine Medaille bei den Deutschen haben“, orakelt sie. „Ich freue mich auf gemeinsame Einheiten mit Spitzenleuten wie Tatjana Pinto oder Keshia Kwadwo. Das wird cool. Davon kann ich nur profitieren, sie werden mich mitziehen.“ Grundsätzlich sieht die U23-Athletin das Leichtathletikjahr 2021 aber als ihr letztes auf der Bahn an. „Danach höre ich auf. Meine Priorität sehe ich im Bobsport. Zweigleisig geht nicht auf diesem Niveau.“

Quelle: Westfalen-Blatt 09.01.2021 (Jörg Manthey)